Gebrauchsanweisung für den Harz by Thiele Jana

Gebrauchsanweisung für den Harz by Thiele Jana

Autor:Thiele, Jana
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-04-02T16:00:00+00:00


Hochzeiten, Hexen, Brockensplitter: Wernigerode

Weithin sichtbar thront das Schloss etwa hundert Meter über der Stadt auf dem Agnesberg. Wer sich den Aufstieg ersparen möchte, fährt mit einer kleinen Bimmelbahn herauf. Was wir heute sehen, ist dem historisierenden 19. Jahrhundert entsprungen, obwohl erste Anlagen an gleicher Stelle bereits ins 12. Jahrhundert datieren. Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode beauftragte den Um- und Ausbau des Schlosses, die Arbeiten daran dauerten etwa drei Jahrzehnte bis 1883. Der Graf war als Großgrund- und Fabrikbesitzer nicht nur ein einflussreicher Mann in der Region, er hatte außerdem noch eine steile politische Karriere gemacht; in seinem höchsten Amt war er drei Jahre Bismarcks Vizekanzler. Die prunkvolle Neugestaltung des Schlosses diente vor allem auch der Repräsentation dieses Status. So erklärt sich auch, dass die neugotischen Gemäuer Wohntrakt und Arbeitszimmer von Kaiser Wilhelm I. beherbergen, die für etwaige Besuche eingerichtet wurden. Die weitläufige Anlage des Schlosses beansprucht viel Aufmerksamkeit, allein fünfzig Zimmer sind auf dem Rundgang zu besichtigen, darunter das Arbeitszimmer des Hausherrn und das Porzellankabinett. Das Ganze ist von hervorragender Kulissentauglichkeit, und so verwundert es nicht, dass von Scooter-Videos bis Märchenfilmen hier schon allerlei gedreht wurde. Ein besonderes Prachtstück des neogotischen Stils ist die Schlosskirche St. Pantaleon und Anna, deshalb wird sie besonders gern für Trauungszeremonien gebucht. Denn neuerdings kann man auch hier auf dem Schloss heiraten, nicht nur im Rathaus. In Wernigerode ist das Heiraten zu einer Art Industrie geworden. An keinem einzigen Tag des Jahres kann man durch die Stadt schlendern, ohne ein Brautpaar zu Gesicht zu bekommen.

Die Stadt nennt sich in ihrem offiziellen Motto »die bunte Stadt am Harz«, weil Hermann Löns sie so beschrieb. Der Autor des »Wehrwolf« trieb eben nicht nur in der Lüneburger Heide sein Wesen, sondern manchmal auch im Harz. Ein Gedenkstein, den der dankbare Harzklub Wernigerode 1929 am Hermann-Löns-Weg aufstellen ließ, erinnert daran. Nicht weit davon, in der Salzbergstraße, steht das erste Karl-Marx-Denkmal, das in der DDR errichtet wurde. Noch immer legen Delegationen der örtlichen DIE LINKE hier rote Nelken ab, wenn ein Marx-Feiertag ist. Heute gibt es auf ebendieser Straße weiter nichts zu sehen. Hier war aber mal was; ich nenne das jetzt einmal Ruinen-Spotting für Fortgeschrittene. Kürzlich wurde hier nämlich ein gelber Klinkerbau abgerissen, der jahrzehntelang leer stand und in der DDR als Frauenklinik genutzt worden war. Der Bau wurde praktisch nahtlos umgenutzt, denn früher hatte das Haus »Harz« geheißen und dem Lebensborn gehört. Unter dem Codenamen »Standesamt 2« sind die Geburten der kleinen Arier verzeichnet worden. Was für ein schönes Denkmal-Dreieck zur jüngeren deutschen Geschichte könnte hier entstehen, wenn man eine Tafel o. ä. an dieser Stelle anbrächte.

Das berühmteste Haus der Stadt ist jedoch das Rathaus, es gilt als eines der schönsten in ganz Deutschland. Seine spitzen und zierlichen Erkertürmchen machen es unverwechselbar. Am gleichen Ort stand früher ein Spielhaus, eine Art öffentlicher Versammlungsplatz und Spielstätte für fahrendes Volk und Gaukler, bis man es um circa 1450 abriss und auf dem Fundament einen Unterbau und darauf wiederum eine Etage Fachwerk setzte. Diesen Aufbau kann man noch heute nachvollziehen, da das Rathaus von den vier Stadtbränden im 18.



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